Camino de Levante I

Camino de Levante I – Eine Perle der Renaissance

La Gineta – La Roda- Minaya- San Clemente

 

Farbiges Glasfenster im Bellesgard-Haus in Barcelona

Farbiges Glasfenster von A. Gaudi Bellesgard-Haus Barcelona

 

Mai 2014

Nachdem ich 2010 nach 5 Jahren auf Jakobswegen  Santiago de Compostela erreicht hatte, war ich dermaßen erfüllt von diesem großartigen Erlebnis, dass ich meinte, damit meine Pilgererfahrung beendet zu haben. Aber ich hatte mich geirrt. Vielleicht ist es so, wie manche alten Peregrinos sagen: dass man nämlich immer auf seinem Jakobsweg bleibt, wenn man ihn einmal aufgenommen hat. Jedenfalls hat es sich ergeben, dass ich mit meiner Freundin Ursel, einer Kirchenführerin, die den Jakobsweg aus eigener Erfahrung noch nicht kannte, Anfang Mai wieder einmal auf einem solchen gelandet bin. Und zwar sind wir eine Strecke auf dem Camino de Levante gepilgert. Anlass für uns war ursprünglich der Maler El Greco, dessen Bilder wir auf einer Ausstellung gesehen hatten und deswegen seine Wirkungsstätte Toledo besuchen wollten. Zufällig ergab sich, dass in dieses Jahr auch sein 400. Todestag  fällt, weswegen in Toledo besondere Ausstellungen stattfinden.  Und wir hatten bei dieser Gelegenheit außerdem entdeckt, dass Toledo halt zufällig auch auf einem Jakobsweg liegt.

Dieser sogenannte Camino de  Levante ist ein weniger bekannter Zweig des spanischen Jakobswegs. Beginnend in Valencia verläuft er über Toledo bis Zamora, wo er in die Via de la Plata mündet und mit dieser bis Santiago de Compostela führt.  Da wir nur ein Zeitfenster von 14 Tagen bei maximal 10 Wandertagen hatten und unser Ziel eben Toledo sein sollte, haben wir 200 km vorher unseren Wanderweg zu Fuß aufgenommen. Auf unserer Strecke verläuft die sogenannte Ruta de Don Quixote parallel zu diesem Camino, weil in dieser Gegend La Mancha die Abenteuer des Ritters von der traurigen Gestalt und seines stallmeisterlichen Knappen Sancho Panza angesiedelt werden.

6.5.14.

Ursel und ich in Barcelona

Ursel und ich bei unserer Ankunft in Barcelona

Wir sind von Düsseldorf nach Barcelona geflogen und haben uns dort mit dem Glaskünstler Michael Rust  getroffen, bei dem wir auch übernachteten. Michael hat uns das von Gaudi errichtete Bellesgard-Haus und danach seine eigene Werkstatt gezeigt. Wir haben dort seine phantastischen farbigen Lampen und Gaudis unnachahmliche Glasfenster bewundert.

7./8.5.14.

Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug nach Albacete, einer Stadt auf dem Camino de Levante ca 200 km  vor Toledo. Dort haben wir uns eine Übernachtung in einem sehr stilvollen Parador-Hotel gegönnt, bevor wir am nächsten Morgen einen Bus nach La Gineta nahmen. Dort starteten wir dann endlich mit unserem Pilgerweg zu Fuß.

Entsprechend unserer Vorbereitung erwarteten wir teilweise sehr lange, ebene, baumlose, wasser- und schattenarme Strecken, auf denen kaum Pilger anzutreffen waren, von daher auch dünn gesäte Herbergen. Der erste Tag hat uns dennoch geschockt mit einer Strecke von seltener Eintönigkeit. Dabei erlebten wir, dass  Fortbewegung in einer grenzenlos wirkenden Ebene auf schnurgeraden Pfaden eine besondere Herausforderung darstellt. Da ein immer gleicher  Horizont keinerlei Orientierung bietet, hat man konstant den Eindruck, überhaupt nicht voran zu kommen. Dieses Gefühl ist auf die Dauer bedrückend und demotivierend. Hinzu gesellte sich ein steter Wind, von dem man unbeschreiblichen Durst bekam. So kam es, dass wir nach kaum 16 km drauf und dran waren, schlapp zu machen. Wir schätzten uns daher sehr glücklich, als uns ein freundlicher Autofahrer aufsammelte und die letzten 5 Kilometer bis La Roda brachte. Dank unseres Alters erlaubten wir uns generell einen nachsichtigen Umgang mit Pilgerbräuchen, wie man noch sehen wird.

8./9.5.14.

In La Roda wurden wir in einer außergewöhnlich originellen Pilgerherberge einquartiert, die sich in Nebenräumen der Stierkampfarena befand. Die zuständige Betreuerin gab uns eine perfekte Einweisung bezüglich des gesamten Verlaufes dieses Camino de Levante, hier mehr oder weniger identisch nicht nur mit der Ruta de Don Quixote sondern auch mit dem noch weniger bekannten, von Süden her kommenden Camino Surreste. Sie informierte uns weiterhin über einen Gepäcktransport am Ort, Öffnungszeiten, Preise, Telefonnummer und Adresse. Wir erhielten außerdem Kartenmaterial, einen Stadtplan mit Markierung aller wichtigen Adressen z.B. Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants, sowie eine Liste neuer Herbergen auf unserem Weg. Auch die Herberge selbst  ließ, obwohl keineswegs luxuriös sondern eher spartanisch eingerichtet, absolut keine Wünsche offen: sie bestand aus zwei Räumen mit mehreren Betten und ausreichend vielen Decken. Da wir alleine dort nächtigten, konnte sich jede von uns einen eigenen Schlafraum einrichten. Für jeden möglichen Pilgerbedarf war hier gesorgt in einer so liebe-und phantasievollen Weise, wie ich sie auf meinen über 2000 km langen Jakobswegen tatsächlich noch nirgends angetroffen habe. Es gab nicht nur ein Bad sondern auch  eine Miniküche mit  Geschirr und Notrationen. Im Bad haben uns einige Details ziemlich erheitert: als Haken hatte man einen Zweig an die Wand genagelt – ein durchbohrter Knochen diente als Griff der Klospülung. Wir haben wunderbar geschlafen und eine großzügige Spende hinterlassen.

Aber vorher hatten wir an diesem Abend noch ein wichtige Sache zu erledigen. Da wir unsere Rucksäcke transportieren lassen wollten, benötigten wir einen kleinen gemeinsamen Proviantbehälter für unterwegs. Nach diesem suchten wir in einem Supermarkt, fanden aber zunächst nur Kinderrucksäcke mit Bärengesichtern. Als wir schon aufgeben wollten, fiel uns ein Einkaufsroller in die Augen, der nur 10 € kosten sollte. Wir überlegten nicht lange und nahmen ihn mit. Er wurde auch sogleich getauft auf den Namen  Sancho Panza, indem er uns quasi als Bauch dienen sollte. Es hat uns großen Spaß gemacht, uns mit diesem ebenso praktischen wie unpilgerhaften Gerät auf den Weg zu machen. Tatsächlich sind wir dabei voll auf unsere Kosten gekommen und haben unseren Schnappsack Sancho Panza richtig lieb gewonnen .

Ursel zieht Sancho Panza

Ursel zieht unseren Sancho Panza

Den nächsten Morgen nutzten wir zunächst zur Aufgabe unserer Rucksäcke in einer Spedition. Danach wollten wir die eindrucksvoll gelegene romanische Kirche vor Ort besichtigen, die aber geschlossen war, wie wir es leider zumeist angetroffen haben. Dann ging es weiter Richtung Minaya. Ganz im Gegensatz zu unserer trostlosen Strecke des Vortages  erwies sich diese  ohne unsere Rucksacklast als angenehmer Trampelpfad.  Als die Sonne höher stieg, legten wir eine ausgiebige Siesta unter einem schattenspendenden Strauch ein. Diese Gewohnheit haben wir beibehalten und jeden Tag  praktiziert, wobei allerdings geeignete Gewächse manchmal sehr rar waren.

Ursel macht Siesta

Ursel bei Siesta

In Minaya eingetroffen erfrischten wir uns  in einer Bar. Im ersten Moment erschien uns diese Gaststätte wie ein Altersheim, weil sich hier an etlichen Tischen lauter gutgelaunte alte Herren beim Kartenspiel befanden, Die Wirtin Isabel, die uns bediente, gewann mit ihrem Charme und Entgegenkommen sofort unser Herz. Netterweise brachte uns Isabel mit ihrem Auto anschließend sogar zu unserem Hotel am Stadtrand. Diese Begegnung erwies sich  Stunden später als sehr bedeutsam, als wir dort nämlich feststellen mussten, dass es in Minaya absolut keine Transportmöglichkeit für unsere Rucksäcke gab. Tragen kam für uns nicht mehr infrage. Da fiel uns die hilfreiche Isabel wieder ein,  die wir um eine solche Gefälligkeit bitten konnten. Wir machten uns also nochmals auf  in ihr Restaurant. Tatsächlich  war Isabel  nicht nur bereit, unsere Rucksäcke am nächsten Tag zu unserem nächsten  Zielort zu fahren. Sie wollte darüber hinaus über Bekannte nicht nur den generellen Weitertransport  unseres Gepäcks organisieren sondern hätte uns sogar private Unterkünfte besorgt. Am Abend wurden wir im Garten zu einem üppigen und höchst schmackhaften Essen im Familienkreis eingeladen. Isabel zeigte sich in ihrer Rolle als Gastgeberin und Köchin als wahre Künstlerin und genoss unsere Komplimente ohne falsche Bescheidenheit.

10.5.14.

Unsere nächste Route führte uns auf einem sehr reizvollen Weg durch Getreidefelder und mohngefleckte Wiesen nach San Clemente. Unterwegs überholte uns Isabel mit  unseren Rucksäcken im Auto. Am Ortseingang von  San Clemente  kehrten wir in eine Bar am Straßenrand ein. Wir bekamen bald Gesellschaft von zwei langjährigen Jakobspilgern, Michael aus Stuttgart und  Claude aus Marseille, die uns für den Abend zum Essen einluden.  Die beiden amüsierten sich gewaltig über unsere „Pilgerausrüstung“ mit Sachno Panza . In unserer Zielherberge, dem Hostal  Milan fanden wir unsere Rucksäcke nicht wie erwartet vor, da es vor Ort eine zweite Herberge dieses Namens gab. In dieser entdeckten wir endlich auch unsere Säcke.

Wir aßen dort eine Kleinigkeit und richteten uns danach jede in einem winzigen Kämmerchen ein. Während ich mich ausruhte,  besichtigte Ursel  kurz das Städtchen. Begeistert  kehrte sie von diesem Ausflug zurück, denn sie hatte San Clemente als Perle der Renaissance entdeckt. In einem Restaurant trafen wir  unsere Pilgerbekanntschaft wieder, die einiges über ihre  ausgedehnten Jakobswege  zu erzählen hatten.  Sie meinten beide, auf diesem Camino de Levante pilgerten nur ganz alte Jakobshasen, nachdem sie schon alle anderen  Wege abgewandert haben. Beide  fanden ihn sehr besonders in seiner Einsamkeit und  bekannten sich als Süchtige des Jakobswegs. „Das Bedürfnis zu pilgern wird Dich nie mehr verlassen, wenn Du es einmal erfahren hast.“

Bevor wir  uns schlafen legten, versuchten wir vergeblich, gewisse Voraussetzungen von der Hotelleitung für unsere nächste Strecke zu erwirken, die eine besonders lange Etappe darstellte. Um einer solchen gewachsen zu sein, muss man wegen der lähmenden Mittagshitze früh morgens aufbrechen. Aber der folgende Tag fiel auf irgendeinen Feiertag, an dem wir vor 11 h kein Frühstück erwarten durften. Da wir über ausreichend Proviant verfügten, hätte mir heißes Wasser  zur Bereitung eines Nescafés gereicht. Aber auch zu solchem Minimalservice  sah sich der Betrieb außerstande. Plötzlich brach ein Streit zwischen mir und Ursel darüber aus, ob wir das Recht haben, ein so winziges Entgegenkommen zu verlangen. Hinsichtlich unserer Verständigung  sah ich mich auf ihre guten Spanischkenntnisse angewiesen und fand, dass sie allzu leicht auf mein Anliegen verzichtet hatte. Ohne meinen Morgenkaffee konnte ich mir tatsächlich nicht vorstellen, mich auf den Weg zu machen. Wir gelangten zu keiner Einigung und gingen unzufrieden ins Bett.

11./12.5.14.

Die Nacht wurde keine erholsame, nicht nur weil es viel zu warm im Zimmer war, vor allem auch viel zu laut, sondern auch wegen der Aufregung über unsere ganz unerwartete Entzweiung.  Wie sollten wir es weiterhin miteinander aushalten, wenn wir uns in solchen Punkten nicht einigen konnten? Ich beschloss in dieser schlaflosen Nacht durchaus schweren Herzens,  mich am nächsten Morgen von Ursel zu trennen, und  mich alleine auf diesem Camino weiter zu bewegen. In aller Frühe klopfte ich bei meiner Freundin an, um ihr meine nächtliche Entscheidung zu eröffnen. Dann spielte sich eine geradezu rührende Szene zwischen uns beiden ab. Ursel saß im Unterhemd reumütig wie eine arme Sünderin neben mir auf dem Bett.  Sie gelobte „Besserung“ und gab sich so große Mühe, mich umzustimmen, dass ihr dies schließlich für diesmal auch gelang. Im Nachhinein lässt sich jedoch feststellen, dass sich täglich ein derartiger Dissens zwischen uns entfaltete. Es ging jeweils um scheinbare Kleinigkeiten. Aber als älterer Pilger geht man ständig bis über seine Grenzen hinaus, jeder muss dann auf die Weise für sich sorgen, die ihm gemäß ist. Es ist, als ob man unter Bedingungen besonderer Belastung eng zusammenleben muss und  dabei voneinander abhängig ist. Kompromisse sind dann nicht mehr drin. Zum Glück hat unsere Freundschaft diesen Härtetest überstanden und sich vielleicht sogar weiter gefestigt. Aber wir werden uns wohl nicht noch einmal  gemeinsam auf einen Jakobsweg machen. Unsere Bedürfnisse  sind dazu einfach zu unterschiedlich geartet.

Rathaus San Clemente

Renaissance-Rathaus in San Clemente

Da wir beide in dieser Nacht kaum geschlafen hatten, beschlossen wir, in San Clemente einen Ruhetag einzulegen und uns dazu ein besseres Quartier zu suchen. Ein solches fanden wir in der herrlichen Posada am Rathausplatz noch dazu zu deutlich günstigeren  Bedingungen. Die Ruhe  nutzten wir an diesem Tag zu einem langen Spaziergang durch die Straßen und bewunderten dabei die dezent restaurierten Gebäude, die Kirche, das Rathaus und dessen prachtvollen Vorplatz. Ursel als Kirchenführerin erkannte an dem Gebäude der Kirche Merkmale, die auf den Umbau einer früheren Moschee hinweisen. Denn das Gebiet, in dem wir uns bewegten, befand sich im Mittelalter zeitweise unter maurischer Herrschaft bis zu dem Zeitpunkt Ende des 15. Jhds., als diese gemeinsam mit den Juden von Christen besiegt und ausgewiesen wurden.

Im  Abschnitt Camino de Levante II ist zu erfahren, wie unser Camino von San Clemente über Toboso bis  El Almoradiel  weiter verlief.


Kommentare

Camino de Levante I — Ein Kommentar

  1. Danke schön, liebe Grüsse. In Speyer am Rhein romanischer Dom steht auch ein Jakobspilger. Viel Freude gute Unternehmungen.

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